7.45

7.45 Uhr

Mir ist ein wenig mulmig zumute, weshalb ich geistesabwesend ein Stück meiner Zigarette abbeiße und erst beim Kauen feststelle, dass man Zigaretten üblicherweise eher raucht. Ich halte den glimmenden Rest in der Hand und spucke den abgebissenen Filter aus. Vielleicht sollte ich mir meine Nervosität doch mal langsam eingestehen. Ich habe noch 15 Minuten Zeit.

7.50 Uhr

Nachdem ich zu Ende geraucht habe, beschließe ich, mich schon einmal auf die Suche nach dem Raum zu begeben. Ich zünde mir ein Snickers an, betrete das Gebäude und halte Ausschau nach wegweisenden Tafeln.

7.51 Uhr

Ich kehre nach etwa zehn Schritten im Gebäude um und werfe das verkohlte Snickers in den Mülleimer vor der Tür. Nachdem ich es kurz kritisch beäugt habe, mache ich ein Foto davon. Diesen empirischen Beweis dafür, dass ich vor 8.00 Uhr einfach absolut nutzlos bin, werde ich mir rahmen lassen und als Mahnmal in meiner Wohnung aufhängen. Etwa zwölf Mal.

7.53 Uhr

Ich stehe vor einer Infotafel und versuche, ihr den Weg zum richtigen Raum zu entlocken. Die Infotafel ist größer als ich. Breiter auch. Sie hat etwa die Fläche von Potsdam. Der Raum, den ich suche, trägt den Namen HGK14-WF3S-2F3ZVR, was mir, vorsichtig ausgedrückt, etwas sperrig vorkommt. Ich betrachte den Notizzettel in meiner Hand eine Weile, blicke dann wieder auf die Infotafel. Sie verweigert mir hartnäckig die Information, die ich so dringend brauche. Lediglich eine mit Piktogrammen gespickte, schematische Darstellung eines knappen Dutzends Stockwerke nebeneinander ist dort zu sehen. In den Raumfeldern stehen ähnliche Kürzel wie das, welches ich auf meinen Zettel gekritzelt habe. Die Piktogramme zeigen Feuerlöscher, Treppen, Notausgänge, eines zeigt eine Zitrusfrucht neben einem Kreuz und ein weiteres zeigt eine Frau mit einer Peitsche in der Hand. Ein Abteilungsleiterbüro, vermute ich. Noch acht Minuten. Keine Chance, das zu schaffen. Ich resigniere. Ich zücke mein Handy und gebe aus Verzweiflung den endlos langen Raumnamen ein. Meine offenbar noch geöffnete Amazon-App lässt mich wissen, dass der Gutscheincode akzeptiert wurde und schreibt mir 20€ auf meinem Kundenkonto gut. Klingt fair.

7.56 Uhr

Eine lange, dünne Frau in beunruhigend hohen Schuhen und mit Büro-Kurzhaarfrisur lugt aus einer sich öffnenden Tür einige Meter den Flur hinunter. Sie scheint meine Verzweiflung gespürt zu haben. „Ach Gottchen, hallöchen junger Mann, was stehen sie hier auf dem Flürchen rum?“, fragt sie mit gluckenhafter Stimme. Flürchen… das Wort hat vermutlich noch nie jemand benutzt… wahrscheinlich, weil es dämlich klingt. Angesichts dieses Hangars von einem Treppenhaus, in dem wir uns befinden, ist es darüber hinaus auch noch völlig fehl am Platz. „Ich suche den Raum HGK14-WF3…“ – „Aaaach, da sind Sie ja schonma richtig, ne? Sind n kluges Kerlchen, ne? Ich bin übrigens die Katja Vogel, aber alle nennen mich Vögelchen“, unterbricht sie mich. Vögelchen, ja? Die Wahl eines Diminutivs als Spitznamen kam sicher nicht von ungefähr. Ich beschließe, einen zweiten Versuch zu starten, die Raumnummer zu rezitieren. „Ah, super, danke, also ich muss zu Raum HGK14-WF3S-2F…“ – „ Ja na kommen Sie mal mit, das is das Räumchen da drüben, ich bring sie eben hin.“ – „Danke. Aber ich hab Ihnen ja den Raum noch gar nicht zu Ende…“ – „Ja ne, das müssen Sie auch nicht, ich weiß, zu wem Sie wollen, der Herr Schlaghammer erwartet Sie ja schon. Kommt einem immer erstmal komisch vor mit den Räumchen, ne? Das sind alles Kürzel. HGK14-WF3S-2F3ZVR steht für Hauptgebäudekomplex 14, Westflügel im 3. Stock, 2. Flur, 3. Zimmer von rechts“, blubbert sie, ohne Luft zu holen. Ich bin ein wenig beeindruckt ob der intelligenten und gleichzeitig vollkommen unbrauchbaren Nomenklatur der „Räumchen“. „Danke, Frau…“ – „Vögelchen, junger Mann, einfach Vögelchen“, unterbricht sie mich erneut. „Danke, Frau Vögelchen“, antworte ich hektisch, um sicherstellen zu können, dass ich alle drei Worte dieser Antwort herausbekomme, bevor sie mich erneut unterbrechen kann. Wir schreiten durch ein Labyrinth von Fluren und Treppen zum gesuchten Raum.

7.59 Uhr

Wir stehen vor dem Büro von Herrn Schlaghammer. Vögelchen drückt mir die Daumen und verschwindet hinter einer Ecke in einen beliebigen Flur. Ich wüsste nicht, wie ich ohne fremde Hilfe aus dem Gebäude finden sollte. Aber dieses Problem hat noch nicht Priorität. Ich klopfe an die Bürotür.

8.00 Uhr

„Kommserein“, höre ich eine Männerstimme sagen. Ich fühle mich an Karneval erinnert. Vom Tonfall her hätte er auch „Wollemersereilasse“ sagen können. Ich trete ein und blicke in die Augen eines Mannes, der mir bis etwa zur Brust reicht. Er wirkt sehr freundlich, seine Optik lässt allerdings vermuten, dass er bei den Balzritualen, die seine Mitschüler und Kommilitonen vor Jahren abgehalten haben müssen, nie miteinbezogen wurde. Auf seinem Schreibtisch lässt ein Namensschild mich wissen, dass es sich um „Prof. Dr. Dr. Stefan Schlaghammer“ handelt. „Ah, der Herr… äh… na mir hatte doch en Termin jetz um achte, ne?“, fragt er. „Richtig. Guten Tag, Herr Schlaghammer. Mein Name ist…“ – „Gutgut, setzens sich emol hin, hamse gut hergefunne?“ – „Ja, ein Vögelchen hat mir den Weg gezeigt“, antworte ich. „Aha, äh…ja, Hauptsache, sie sin nu hier, ne? Ich stell ihne kurz de Rest vor. Des do…“, er zeigt auf eine monolithisch anmutende, bemerkenswert dicke Frau in einem geblümten Büro-Outfit, die auf anderthalb der fünf Stühle um den Konferenztisch herum sitzt. Ich scheitere daran, ihren Blick zu deuten. Ich erkenne Professionalität und eine gewisse Freundlichkeit in ihren Augen, doch irgendwie blickt sie dennoch verkniffen drein.

Schlaghammer fährt fort: „Des is die Frau Dürrmann, Personalrat.“ Ich ziehe die Augenbrauen hoch „Der GANZE Personalrat, oder?“, rutscht es mir heraus. „Was?“, fragt Schlaghammer. „Nichts, schon gut“, antworte ich lächelnd. Schlaghammer fährt fort: „Und des hier is de Herr Milchbuch, unser Vertriebsleiter für die Region NRW.“ Er zeigt auf einen adrett gekleideten Mann mit bürokratischer Haptik, der, vermutlich in Ermangelung irgendeines persönlichen Merkmals, eine auffällige, blaugraue Brille mit dickem Rahmen trägt. „Angenehm“, sage ich und schüttele ihm die Hand. „Des tät ihrn Chef wern, wennse die Stell kriege“, sagt der Büropygmae. „Nehmense emol Platz, mir schwätze jetz e bisl.“ Ich tue, wie geheißen. Milchbuch beginnt das Bewerbungsgespräch und steigt gleich mit Fachfragen ein:

Milchbuch: „So, Herr ähm…“

Schlaghammer: „Des is de Herr …äh…“

Ich: „Friedemann aus dem Hause Kipp, der Erste seines Namens, Herrscher über 45 m² und einen Hamster namens ‚Sir Fluff-a-lot‘, hoher Vertilger der Pizza und Träger der seidenen Joggingpeitsche für besondere Verdienste abseits jeder aktiven Tätigkeit.“

Etwa eine Minute Stille.

Milchbuch: „Herr…Kipp. Sie sind mit der Tätigkeit unseres Unternehmens vertraut?“

Ich: „Nein. Ich schicke meine Stellenbewerbungen grundsätzlich an alle Firmen weltweit und hoffe, dass sich diejenigen melden, die zufällig genau die Stelle anbieten, auf die ich mich beworben habe.“

Milchbuch: „Sie sind also ein Spaßvogel.“

Ich: *Zwitschern*

Milchbuch: „Sie wissen natürlich, dass wir ein landesweit agierender Konzern mit vielen namhaften Kunden sind, nicht wahr? Unsere Medikamente sind in einigen Sparten sogar marktführend.“

Ich: „Natürlich sind Sie das.“

Milchbuch: „Sie werden natürlich verstehen, dass wir nur die Besten der Besten in unserem Unternehmen beschäftigen können. Schließlich haben wir einen Ruf zu verlieren. Ihre künftige Position setzt, wie alle Positionen in unserem Unternehmen, ein tadelloses Auftreten sowie eine gewisse Eloquenz voraus.“

Ich blicke fragend zu Schlaghammer.

Schlaghammer: „Jo, was de Herr Milchbuch sage will, is, dass jeder Kunde erwadde derf, dass mir stets gepfleeschte Leut zu ihm schicke, die wo sich aach astrein un uff hohem Niveau middem unnerhalle könne.“

Ich: „Ähm… Das versteht sich doch von selbst.“

Milchbuch: „So, widmen wir uns ihrer Vita. Sie haben also Biologie studiert. Ja, ja, ich sehe, sie waren unter Regelstudienzeit fertig, sehr löblich. Abschlussnote 1,1. Wie kommt das, Herr Kipp, warum hat es hier nicht zur 1,0 gereicht?“

Ich: „Weil im Schnitt am Ende 0,1 fehlten.“

Milchbuch: „Haben Sie da irgendwann einfach das Interesse verloren? Oder wie erklären Sie sich diesen Einbruch?“

Ich: „Trauerfall in der Familie.“

Milchbuch: „Und deswegen vernachlässigen Sie ihr Studium? Wer ist denn da bitte gestorben?“

Ich: „Alle.“

Milchbuch: „Ich verstehe. Nun haben Sie also vor zwei Monaten Ihren Masterabschluss gemacht. Sie sind aber bereits 24 Jahre alt. Da müssen Sie ja irgendwo Zeit verloren haben.“

Ich: „Ich habe nach dem Abitur meinen Zivildienst abgeleistet und danach sofort mein Studium begonnen, welches ich, wie Sie ja bereits sagten, unter Regelstudienzeit abgeschlossen habe.“

Milchbuch: „Sie hätten dazwischen ja wenigstens noch das eine oder andere Praktikum absolvieren können. Ein wenig Berufserfahrung wäre hier schon wünschenswert. Was hat Sie denn daran gehindert?“

Ich: „Das Raum-Zeit-Kontinuum.“

Milchbuch: „Wir von der FellatioPharm AG setzen für unsere Vertriebsmitarbeiter natürlich eine gewisse Berufserfahrung voraus, das wissen Sie?“

Ich: „Jap. Ich erinnere mich an die Anzeige. Da hieß es ‚Frisch von der Uni in den Job. Jobeinstieg als Pharmavertreter‘.“

Milchbuch: „Der Jobeinstieg setzt ja an sich bereits mindestens zwei Jahre Berufserfahrung voraus.“

Ich: „Wow, da kann ich ja froh sein, dass Sie mich dennoch eingeladen haben. Obschon ich dieses total machbare Kriterium nicht erfülle. Die meisten anderen erfüllen es, nehme ich an? Deswegen haben Sie mich eingeladen?“

Es folgen zwei Minuten Stille. Schlaghammer und Milchbuch starren sich an und warten beharrlich darauf, dass der jeweils andere die Situation irgendwie löst.

Milchbuch: „Nun ähm… also wenn Sie die Stelle wollen, können wir nun über den Vertrag sprechen. Wenn Sie hier wohl einmal unterschreiben würden.“

Milchbuch reicht mir einen knappen Kubikmeter Papier. Ich beginne, ihn zu lesen.

8.30 Uhr

Milchbuch: „Herr Kipp, da steht nur das Übliche drin. Sie haben doch in der Stellenbeschreibung alles gelesen. Sie bekommen einen festen Gehaltsanteil plus Provision, einen Dienstwagen, …“

Ich: „Hier steht ‚Der Arbeitnehmer erhält einen Smart. Er ist verpflichtet, die Wartung und Kraftstoffversorgung des Fahrzeugs in Eigenleistung sicherzustellen.‘ Soll das heißen, ich muss die Wartung usw. selbst bezahlen?“

Milchbuch: „Nun ähm…ja“

Ich: „Weiter heißt es ‚Dem Arbeitnehmer ist es untersagt, mit dem Dienstwagen private Fahrten zu unternehmen. Dazu zählt auch die Anfahrt zur Arbeitsstelle‘. Sie wollen also, dass ich mir einen zweiten Wagen besorge, mit dem ich zum Büro komme und dann von dort mit dem Dienstwagen zu den Kunden fahre?“

Milchbuch: „Na solange Sie nur auf dem Weg ins Büro sind, arbeiten Sie ja streng genommen nicht.“

Ich: „Und hier, im dritten Buche des heiligen Arbeitgebers, da heißt es ‚Sehet und staunet! Ihr, die Ihr nicht erwirtschaftet das Monatsziel, Ihr sollt Hunger leiden und die Taler für euer Obdach durch Prostitution aufbringen müssen.‘“

Milchbuch: „Wie bitte?!“

Ich: „Na hier, 2. Buch, 3. Kapitel, §14, Abs. 3“ – Ich fühle mich ein wenig an die Raumnomenklatur des Bürokomplexes erinnert – „Da steht ‚Wenn der Arbeitnehmer die monatlich individuell vom Arbeitgeber zu veranschlagenden Zielvorgaben nicht erfüllt, können Zahlungen des Festgehalts ausgesetzt werden.‘“

Milchbuch: „Irgendwie müssen wir ja sicherstellen, dass …“

Ich: „Wissen Sie, was ein „Festgehalt“ ist? Das kommt nicht daher, dass es nicht in flüssiger Form ausgezahlt wird, sondern daher, dass es FEST ist, unumstößlich und von vordefiniertem Umfang quasi.“

Milchbuch: „Diesen aufbrausenden Ton verbitte ich mir.“

Ich: „‚Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, sein Diensttelefon stets mit sich zu führen und für den Arbeitgeber erreichbar zu sein. Sollten die betrieblichen Abläufe es erfordern, ist der Arbeitnehmer zu Sonderschichten verpflichtet. Hierüber entscheidet der Arbeitgeber und teilt sie dem Arbeitnehmer bis spätestens 30 Minuten vor Dienstbeginn mit.‘“

Milchbuch: „Ich habe langsam den Eindruck, Sie WOLLEN gar nicht arbeiten. Sie haben ja auch an allem etwas auszusetzen.“

Ich ignoriere ihn. Schlaghammer schaut Milchbuch erwartungsvoll an. Die Personalratsvertreterin hat mit jedem meiner Zitate aus dem Knebelvertrag größere Augen bekommen. Ich bin mir zunehmend sicher, dass sie keine Ahnung hatte, wie die Verträge hier aussehen. Ich lese noch ein wenig weiter im Vertrag, denn er unterhält mich. Die Befristung sei stets auf einen Monat festgelegt, mit Verlängerung frühestens vier Tage vor Vertragsende. Die Arbeitszeiten sind im Grunde mit den Öffnungszeiten eines städtischen McDonald’s vergleichbar, nämlich immer. Außerdem erwirbt der Arbeitsgeber automatisch das halbe Sorgerecht an meinen ersten drei Kindern, das Recht auf die „Prima Nocte“ im Falle meiner Vermählung sowie meine Zusage, dass ich mich bei einer Zombieapokalypse widerstandslos von ihm verspeisen lasse, sollten die „betrieblichen Abläufe“ es erfordern. Zugegeben, ein Teil dieser Punkte stand da nicht, aber sind wir ehrlich, es hätte da stehen können und sich wunderbar in das restliche Dokument eingefügt.

8.40 Uhr

Ich: „Sagen Sie, wie viele Pharmavertreter mit baugleichen Verträgen halten Sie sich derzeit?“

Milchbuch: „Drei.“

Ich: „Und wie lange sind die so in der Regel bei Ihnen?“

Milchbuch: „Unsere Mitarbeiter gehören zu den zufriedensten…“

Ich: „Ich bin sicher, dass Sie sich hierzu eine wundervolle Statistik haben zusammenpfriemeln lassen. Aber meine Frage bleibt: Wie lange sind die in der Regel bei Ihnen?“

Milchbuch: „Ich fürchte, Ihre kontraproduktive Einstellung passt einfach nicht zu unserer Unternehmensphilosophie, Herr Kipp.“

Ich: „Ich fürchte, solange ich keine Kettenkugel am Bein trage, haben Sie Recht.“

Milchbuch schaut mich mit dem verschämten Blick an, den 14-jährige Jungen drauf haben, wenn Sie von ihren Eltern beim Masturbieren zu einem Hardcore-BDSM-Porno erwischt werden. Da mir nun klar ist, dass ich die Stelle wohl weder will noch bekommen würde, beschließe ich, die Farce zu beenden. Milchbuch und Schlaghammer tuscheln kurz miteinander. Ich nutze die Zeit, um noch einmal im Vertragspamphlet umherzublättern und versehe eine beliebige Seite mitten im Dokument mit etwa einem Esslöffel zähviskosem Rotz, den ich bemerkenswert zielgenau und mit einem leisen Platschen direkt aus der Nase auf die Seite feuere. Ich schlage das Dokument zu und lege es auf den Tisch. Ich beschließe noch, Schlaghammer und Milchbuch beim Handschlag zum Abschied die Hände zu brechen und zu hoffen, dass der Personalratspudding dies nicht versehentlich auch bei mir macht. Dazu kommt es nicht. Man hat das Interesse an mir verloren. Ich nehme wortlos meine Tasche, packe den kompletten Kondensmilchbestand sowie alle Zuckerpäckchen vom Tisch hinein und verlasse das Büro. Ich mag weder Kondensmilch, noch trinke ich meinen Kaffee gezuckert.

Unterwegs begegne ich Vögelchen. Sie fragt mich „Und? Haben Sie das Stellchen bekommen?“ – „Nein“, sage ich, „Ich passe nicht zur Unternehmensphilosophie. Sagen Sie, arbeiten Sie schon lange hier?“ – „Ein halbes Jährchen“, sagt sie und blickt mich fragend an. „Wieso fragen Sie?“, will sie wissen. „Fühlen Sie sich wohl hier?“, frage ich. Sie fängt an, zu weinen.

Drei Tage später. 8.00 Uhr

Ich sitze im Flur des Jobcenters. Um mich herum sitzen weitere Menschen, die keine Arbeit haben. Das Jobcenter nennt uns Kunden. „Der Kunde ist König“ steht auf der Tasse meiner Sachbearbeiterin aus der Abteilung für Leistungsgewährung, zu der ich nun ins Büro gerufen werde. Ich muss lachen. „So, ihr Bewerbungsgespräch verlief also nicht so gut, Herr Kipp?“, fragt sie und blickt dabei vorwurfsvoll über den Rand ihrer Brillengläser. „Nein“, antworte ich. Sie fährt fort: „Wir haben uns die Freiheit genommen, den potentiellen Arbeitgeber zu kontaktieren. Er sagte uns, er hätte Ihnen den Job geben wollen, Sie haben ihn aber nicht gewollt. Möchten Sie dazu etwas sagen?“ – „Was auch immer ich sagen würde, würde nicht bis zu Ihnen nach ‚oben‘ durchdringen. Da ich nun ohnehin die Leistungen gekürzt bekomme, kann ich es mir ja auch richtig verscherzen, nicht wahr? Der Arbeitgeber war ein Sklavenhalter. Und Sie sind eine überhebliche Stuhlprobe. So und nun füllen Sie schon ihr gottverdammtes Strafformular für mich aus, ich muss gleich noch runter zu Ihren ähnlich unfähigen Kollegen von der Arbeitsvermittlung, damit Sie mich wieder nötigen können, mich als Nagetierdirigent in Narnia oder als Orkfussballtrainer in Mordor zu bewerben, weil ja beides total gut zu meiner Ausbildung passt.“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, verlasse ich das Büro. Das tat gut.

9.00 Uhr

Ich komme in meine Wohnung und setze mich an den Küchentisch. „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ denke ich. Mag ja stimmen. Aber man muss die Würde des Menschen ja nicht anfassen, um sie zu beziffern und wie einen Kostenfaktor zu behandeln. Mein Frühstück steht vor mir. Es gibt Kondensmilch. Dazu rauche ich ein längliches Zuckerpäckchen. Das wird es in den kommenden Tagen wohl noch öfter geben.

-160530-

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