01 – Modekritiker

Hallo und willkommen zur ersten Kommentarkritik dieses Blogs. Lasst uns gemeinsam herausfinden, ob das Format so funktioniert, wie ich es mir vorgestellt habe. 

Der Artikel, um den es heute gehen soll, beschäftigt sich mit verschiedenen Formen der Verschleierung im Islam. Er ist am 05.04.17 bei Focus Online erschienen. Anlässlich der unlängst erneut entbrannten Debatte um ein Burka-Verbot wollte man offenbar den Lesern dabei helfen, zwischen den verschiedenen verschleiernden Kleidungsstücken unterscheiden zu können. Das ist toll, denn wenn man beispielsweise ein Problem damit hat, wenn sich jemand in der Öffentlichkeit das Gesicht komplett verhüllt, kann man nach der Lektüre des Artikels genau benennen, welche Kleidungsstücke diesen Aspekt erfüllen und welche nicht. Focus Online macht hier quasi ein… ja, ich würde es fast als Bildungsangebot bezeichnen. Soviel zur Theorie.

In der Praxis habe ich nicht einen einzigen Kommentar gelesen, der sich auf den Inhalt des Artikels bezieht. Offenbar kann man die Intention des Artikels so weit fehlinterpretieren, dass man darin die Kleidervorschriften ab 2020 sieht und nur schon einmal schleichend darauf vorbereitet werden soll, dass man bald selbst in einem der feschen Fummel herumlaufen muss. Und so nimmt man die aufrechte Verteidigungshaltung ein und bäumt sich gegen die islamische Indoktrination auf. Einer dieser glühenden Verteidiger ist Rolf Stihl (Ohja, ich nenne die Namen der Kommentatoren hier. Warum sollte ich sie auch zensieren? Die Personen haben exakt diese Aussagen auf einer öffentlichen Plattform von sich gegeben. Und zwar unter dem Namen, den ich auch hier angeben werde. Ich werde natürlich keinerlei Änderungen an den Inhalten der Kommentare vornehmen). Mit ihm wollen wir uns heute ein wenig auseinandersetzen.

So, lieber Rolf, du hast nun also gelesen, welche Verschleierungsformen es gibt und möchtest etwas dazu sagen? Na, dann hau mal raus.

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Aus der Frage und der vorangestellten Information schließe ich, dass es eine Art Kodex gibt, was man als deutscher Staatsbürger zu wissen hat und was nicht. Weiterhin schließe ich daraus, dass Rolf penibel darauf bedacht ist, auf keinen Fall mehr zu wissen als gemäß dieses Kodex vorgeschrieben. Mir erscheint das bewusste Begrenzen des eigenen Bildungshorizonts zwar etwas kleingeistig, aber hey, jeder wie er mag. Darüber, was „unnützes Wissen“ ist, lässt sich in diesem Fall wahrscheinlich nicht streiten. Aber, wenn es dich beruhigt, lieber Rolf: Nein, das musst du nicht wissen. Du kannst den Artikel einfach nicht lesen (davon bin ich ohnehin ausgegangen), dann bist du vor versehentlichem Informationsgewinn sicher.

Aber was ist das? Scheinbar gibt es auch Leute, die sich solchen Informationen, wie sie der Artikel bietet, nicht pauschal verweigern. Und so findet sich unter Rolfs Kommentar bald darauf dieser hier:

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Das kannst du freilich nicht auf dir sitzen lassen, nicht wahr, Rolf? Nun ist es also an der Zeit, dem unwissenden Pöbel, der scheinbar wahl- wie rücksichtslos Informationen in sich hineinfrisst, ohne an die Folgen zu denken, einmal zu erklären, WARUM du dich damit nicht auseinandersetzen willst. Zeit also, nach dem Rudel Fragezeichen aus dem initialen Kommentar auch noch die Ausrufezeichen von der Kette zu lassen und sie der Welt mit all deiner Eloquenz entgegenzuschmettern. Here we go!

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BÄM! Was für ein schlagfertiges Argument. Mal schauen, ob ich es deuten kann. Also aus „erst einmal“ schließe ich, dass das passieren muss, bevor du bereit bist, dir die im Artikel angebotene Information anzuschauen. Eine Prämisse, wenn man so will. Okay, soweit kann ich folgen. Aber wer sind „die“? Da es in dem Artikel ja um Kleidungsstücke geht, könnte das mit der Erfüllung der Prämisse schwer werden. Kleidung spricht nur selten.

Okay, okay, wollen wir mal nicht so kleinlich sein. „Die“ wird wohl auf potenzielle Träger der Kleidungsstücke gemünzt sein, vornehmlich Muslime also. Da ich irgendwie die Vermutung habe, dass dein Horizont rein zufällig an der deutschen Grenze endet, gehe ich mal von Muslimen in Deutschland aus. Gut, die sollen also Deutsch lernen, bevor du, lieber Rolf, dich mit ihren religiös motivierten Klamotten auseinandersetzt. Naja, musst du wissen. Da kommen wir gleich nochmal zu.

Viel interessanter finde ich deine zweite Forderung. „Die“ sollen sich an die „deutsch kultur“ [sic!] halten. Auch hier will ich wieder wohlwollend annehmen, dass du so etwas wie „Deutschkultur“ (Duden.de und ich sind uns einig. Das Wort gibt es nicht. Duden.de schlägt einem, wenn man es sucht, „Deutschkursus“ vor. Ich lasse das mal so stehen) oder auch „deutsche Kultur“ meinst.

Okay, aber was sollen die dann genau tun? Kultur ist keine Regel, also ist es schwer, sich „daran zu halten“. Und eine Regel (im Sinne eines Gesetzes) zur Klärung, ob man die o.g. Kleidungsstücke tragen darf, war ja der ursprüngliche Hintergrund, vor dem der Artikel gepostet wurde. Ohje, ich hoffe, ich mach es dir jetzt nicht zu kompliziert, lieber Rolf. Ah, Moment, du spielst auf gesellschaftliche Konventionen an, nicht wahr? Die meisten Menschen in unserer Gesellschaft tragen keine Burka. Und deswegen kann es nicht Teil der „deutsch kultur“ sein, dass einige eben doch eine tragen. Das meinst du doch, oder nicht? Aber wer entscheidet das denn? Viele Menschen in Deutschland tragen verschleiernde Kleidung. Und das schon seit vielen Jahren. Ist es dadurch nicht vielleicht sogar schon ein Teil der hiesigen Kultur? Vielleicht, vielleicht nicht. Ich bin mir jedoch sicher, dass die deutsche Kultur es keinesfalls verbietet.

Um noch einmal auf dein Argument mit der Sprache zurückzukommen. Es konnte noch nicht bewiesen werden, dass das Tragen bestimmter Kleidung dazu führt, dass man Sprachen plötzlich verlernt. Viele von „denen“ beherrschen die deutsche Sprache trotz Burka & Co., einige lernen sie sogar, WÄHREND sie eine Burka tragen. Verrückte Welt, nicht wahr, Rolf?

Was das Deutsch lernen angeht, sehe ich bei dir, lieber Rolf, auch noch einen gewissen Nachholbedarf. Du hast ja als „deutscher Staatsbürger“ auch eine Vorbildfunktion. Lass mich dir also helfen:

1. […Deutscher Staatsbürger…] „deutscher“ wird hier kleingeschrieben. Es ist ein Adjektiv und bezieht sich auf „Staatsbürger“.
2. […das wissen???????] Ein Fragezeichen reicht. Versprochen.
3. [Mandy Paul Dann sollen die erst einmal deutsch lernen, und sich an die deutsch kultur halten !!!!] „Deutsch“ groß, das ist hier ein Nomen. Vor „und“ kommt kein Komma. „deutsch kultur“ gibt es nicht. Falls du, wie ich oben schon vermutet habe, „deutsche Kultur“ meinst, fehlt der Bezug des Adjektivs. „Kultur“ wird als Nomen großgeschrieben. Und auch hier gilt: Ein Ausrufezeichen reicht. Nicht aufgeben. Du packst das.

Fazit: Natürlich kann man über ein Burka-Verbot diskutieren. Aber dann auch wirklich ÜBER ein Burka-Verbot. Und genau für diese Diskussion soll dem Leser des Artikels Basiswissen vermittelt werden. Wer sich dem verweigert, weiß ja nicht einmal, was er da genau verbieten oder nicht verbieten will. Und gerade jemand wie Rolf sollte den Artikel lesen. Wenn nämlich ein (reines) Burka-Verbot kommen sollte und die Muslime dann eben in den anderen verschleiernden Klamotten rumrennen, weil diese eben nicht mit verboten wurden, dann ist Rolf wahrscheinlich wieder vorne mit dabei, um sich zu beschweren.

So, das soll es dann für heute gewesen sein. Bis zum nächsten Beitrag.

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4 Gedanken zu “01 – Modekritiker

  1. Großartig geschrieben! Und ich liebe deinen Schreibstil.
    (Hoffentlich nimmst du meinen Kommentar jetzt nicht auch auseinander *lach*)

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  2. Die Art und Weise, wie Du die Aussagen von Leuten auseinander nimmst, finde ich klasse. Von Dir habe ich bereits an anderen Stellen gute Artikel gelesen. Aber mal ganz unter uns gesagt: Deine Anstrengungen, diese Leute von der grammatikalischen Astgabel zu holen, in der sie stecken gebliebenen sind, lohnen sich nicht. Ich muss dann immer gähnen.

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    • Danke für die Blumen. 🙂 Ich darf annehmen, die anderen Artikel hast du beim Volksverpetzer gelesen?
      Was das mit der Grammatik angeht: Das ist eine Art Hobby von mir, wenn man so will. Aber ich stimme dir zu, dass sich der Unterhaltungsfaktor in Grenzen hält, wenn ich einfach nur Leute in Grund und Boden korrigiere. Das habe ich in den weiteren Einträgen auch reduziert und nur noch in bestimmten Fällen und dann auch im kleineren Rahmen aufgegriffen. In der Regel bieten die Kommentare, die ich hier betrachte, inhaltlich schon genug Gesprächsstoff, sodass ich mich auf Orthographie nicht mehr stürzen muss. Der Kandidat in diesem Eintrag hier hat allerdings praktisch darum gebettelt. 😀
      Danke für das Feedback 😉

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