Vom Suchen und Finden der Arbeit

Von zahllosen Plakatwänden in den Innenstädten grinsen sie mich an. Mit Photoshop in die Glückseligkeit retuschierte Frohnaturen, in deren makellosen, vitalen Gesichtern ich mich wiedererkennen soll. „Werde Wissenschaftler!“, fordern sie mich auf. „Mach Karriere bei der Bahn!“ schreien sie mir entgegen. „Gestern noch in der Schule, heute auf der Karriereleiter“ verheißen sie fröhlich. Der Berufseinstieg wird regelrecht beworben, als sei er das Einfachste der Welt. Berufliche Optionen werden dargestellt, als müsse man sie einfach nur ergreifen. Ich fühle mich dabei immer ein wenig an Lottowerbung erinnert: „Jetzt gewinnen!“ Ja, gerne, kein Problem. Dabei wird die eigentliche Natur des „Produkts“, also der beworbenen Stellen, von den Werbefiguren einfach beiseitegegrinst. Aber wer den glücklichen Plakatmenschen folgen will, merkt schnell, dass man sich einen Job nicht einfach wie eine Schale Äpfel aus dem Supermarktregal nehmen kann. Je nachdem, wie die eigene berufliche Qualifikation aussieht, sind die Jobregale nämlich ziemlich leer. Oder das, was sich darin findet, liegt nur deshalb noch dort, weil es faul ist. Die fröhlichen Plakatmenschen sagen nichts davon, dass ihre Verheißungen und ihre vor Elan strotzenden Imperative gar nicht an alle gerichtet sind. Sie stellen die Jobsuche als einfachen Konsumprozess dar. „Komm her, greif zu!“ Schon okay, so funktioniert Werbung eben. Sie vereinfacht, beschönigt und banalisiert. Problematisch wird es allerdings, wenn so etwas Elementares wie die Weichenstellung für die berufliche Zukunft auch von Freunden, der Familie und sogar den Lehrern heruntergespielt wird. „Lerne/Studiere einfach das, was dich interessiert“, wird sicherlich dem einen oder anderen bekannt vorkommen, nicht wahr?

Sechs Monate stand ich vor den Regalen. Sechs Monate zwischen Hochschulabschluss und tatsächlichem Berufsstart. Sechs Monate als „Arbeitssuchender“ boten mir genug Zeit, mir mal einen Überblick über die allgemeine Situation auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen. Der oft beschrieene Fachkräftemangel bezieht sich scheinbar auf nicht einmal ein halbes Dutzend Branchen. Der Rest schaut in die Röhre. Kleine Handwerksbetriebe haben noch immer Schwierigkeiten, ihre Lehr- und Mitarbeiterstellen zu besetzen, obwohl sich die wirtschaftliche Lage im Handwerk zuletzt verbessert hat. Hinzu kommt die Überakademisierung. Jeder soll studieren können, egal, ob eine handelsübliche Tube Mayonnaise ihn in einem IQ-Test schlagen könnte. Und wer eine Hochschulzugangsberechtigung hat, dem wird geraten, diese auch unter allem Umständen zu nutzen. Aber wenn die Masse nicht klüger wird, gibt es nur zwei Optionen: Zusätzliche Schritte zur Regelung des Hochschulzugangs, wie etwa Eingangsprüfungen, oder aber eine Senkung des Studienniveaus. Beides klingt nicht verlockend. Den Rest besorgen die Helikoptereltern der kommenden Generationen, die der Meinung sind, ihre oftmals völlig verzogenen Kälber verdienten eine glänzende Karriere als Nobelpreisträger, nur weil sie es in einem von sieben Fällen schaffen, fehlerfrei einen Toaster zu bedienen. Die Wirtschaft fordert immer jüngere Absolventen, gleichzeitig werden in den meisten Stellenausschreibungen mehrere Jahre Berufserfahrung gefordert. Ein abgeschlossenes Studium mit einem Schnitt von 0,7 sowie ein oder zwei wissenschaftliche Durchbrüche und zehn Jahre Berufserfahrung reichen bereits für eine Halbtags-Trainee-Stelle mit der leckeren Extraportion an Befristungen. Man darf dabei aber keinesfalls älter als 21 sein. Klingt fair. Nun werden die halbgaren Arbeitsaspiranten also schon mit 17 Jahren durchs Abi gepeitscht und haben teilweise schon mit 21 oder 22 den ersten Studienabschluss. Aus meiner Sicht gipfelt diese perverse Entwicklung aktuell in Phänomenen wie den „Erstsemester-Elternabenden“. Ein Studium ist bis zu einem gewissen Grad ja auch dazu da, mal ein wenig Selbstständigkeit zu lernen. Nun las man vor kurzem in der Zeitung, dass die Firmen sich beschweren, die jungen Berufsanwärter seien zu unreif. Was genau habt ihr denn bitte erwartet?

Und nun stehen sie da, die jungen Menschen, denen geraten wurde, doch das zu lernen oder zu studieren, was sie interessiert und worin sie ihre Passion sehen. Und sie werden stehengelassen. Dieselben Leute, die ihnen von Jahren gesagt haben, dass sie studieren sollen, was sie interessiert, stehen nun wieder vor ihnen. Nun sagen sie aber Sätze wie „Ohje, da haste aber wenig Aussichten mit, oder? Hättest du mal etwas Zukunftssicheres gemacht.“ Wer sich nicht anpasst, versauert in Gelegenheitsjobs oder Hartz 4, wer sich nicht in den Quereinstieg rettet, läuft Gefahr, dazu gezwungen zu werden. Natürlich ist es nicht die Mehrheit, aber dennoch geht es beunruhigend vielen so. Dass man in der Schule nur unzureichend auf den Erwachsenenalltag vorbereitet wird, etwa indem einem das Steuersystem einmal umfassend erläutert wird, damit habe ich mich abgefunden. Man kommt ja auch so irgendwie klar. Aber wie wäre es damit, die Schüler wenigstens mal auf die unmittelbar nächsten Schritte vorzubereiten? Über den Arbeitsmarkt sprechen. Verschiedene Karrieremodelle und –Möglichkeiten aufzeigen. Darüber reden, welche Jobs heute gefragt sind und welche es in Zukunft sein könnten. Oder, wenn das schon nicht gemacht wird, wenigstens damit aufhören, die Arbeitsmarktsituation soweit zu beschönigen, dass sie als unendlicher Pool von Möglichkeiten mit Zuckerguss erscheint. Nein? Bitte, dann mache ich das eben: Liebe Schüler, die Welt hat nicht auf euch gewartet. Auf jede Stelle, auf die ihr euch bewerbt, bewirbt sich mindestens ein Dutzend weiterer Menschen. Statistisch gesehen ist mindestens einer davon besser geeignet oder kennt jemanden im Zielbetrieb. Seid entweder verdammt gut in dem, was ihr tut oder seid verdammt innovativ. Oder geht auf Nummer sicher und studiert etwas, mit dem euch ein möglichst breites Spektrum offen steht. Interessen sind schön und gut, aber das Ende der Schulzeit ist ein guter Zeitpunkt, um der eigenen Suppe aus Zukunftsträumen einmal die erste Prise Realismus beizufügen.

-170510-

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