02 – Von Ratten und Menschen

Hallo und willkommen zur zweiten Kommentarkritik. Nachdem ich den Blog mehr oder weniger im Affekt begonnen habe, stand ich in der vergangenen Woche vor der „Aufgabe“, neues Material zu finden, welches ich hier thematisieren kann und muss sagen, dass es mir gar nicht so leicht gefallen ist. Nicht etwa, weil ich in den Kommentarspalten nicht ausreichend dümmliche Aussagen gefunden hätte, sondern vielmehr, weil sich nicht alles für dieses Format eignet. Nicht immer taugen einzelne Kommentare für einen ganzen Beitrag hier und nicht jeder Kommentar ist es wert, den kompletten Kontext darzulegen. Ich behalte mir vor, einige Stilblüten in kürzeren Formaten im Blog zu veröffentlichen, ohne so detailliert darauf einzugehen, wie ich es bei meiner ersten Kommentarkritik getan habe. Nun aber zum heutigen Thema. Erneut wird es politisch. Auch wenn ich mich nicht auf politische Themen beschränken möchte, finden sich hier meist die interessantesten Diskussionen, weswegen es sicher nicht das letzte Mal sein wird.

Dieser Eintrag unterscheidet sich in zwei Punkten vom vorherigen. Zunächst einmal werde ich heute nicht nur die Kommentare einer Person betrachten. Außerdem beziehen sich die heutigen Kommentare nicht etwa auf einen Artikel, sondern auf ein Zitat, welches von ZDF heute gepostet wurde. Zitiert wird der amtierende Außenminister Sigmar Gabriel, der gestern mit Blick auf die heute stattfindende Stichwahl für das Präsidentenamt in Frankreich über die Kandidatin des Front National, Marine Le Pen, Folgendes sagte:

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Sigmar Gabriel ist besorgt. Und um ehrlich zu sein, teile ich seine Sorge. Von Macron mag man halten, was man will, doch halte ich persönlich die rechtspopulistische Option immer für die schlechtere.

Unter dem Beitrag findet sich eine vierstellige Anzahl an Kommentaren. Selbstverständlich habe ich nicht alle gelesen, doch bereits relativ früh nach Beginn der Lektüre ist klar: Es gibt, wie so oft in diesen Diskussionen, ein linkes und ein rechtes Lager. So weit, so normal. Interessanterweise diskutiert man nicht etwa darüber, ob Gabriel sich zurecht vor einer französischen Präsidentin Le Pen fürchtet, worin genau die Gefahren bestünden oder warum vielleicht gar keine Gefahr besteht. Nein, man diskutiert die Wortwahl des Außenministers. Vergleich oder Polemik, das ist hier die Frage.

Zugegeben, Gabriel stand schon einmal seiner Wortwahl wegen in der Kritik. Seinerzeit bezeichnete er fremdenfeindliche Randalierer in Heidenau als Pack. Und dann war da ja auch noch die Sache mit dem ministerialen Mittelfinger. Ich muss sagen, dass ich ihm beides nicht verübeln konnte. Aber das mag jeder für sich entscheiden.

So, nun ist es also an der Zeit, Siggis Statement mal ordentlich durchzudeuten. Den Anfang macht Michael Zett.

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Für alle, die, wie ich, nicht ganz nachvollziehen können, wo Gabriel jemanden als „Ratte“ bezeichnet hat, will ich Michaels mentale Flipperpartie kurz beleuchten (und mich gleichzeitig von dieser etwas stolperhaften Interpretation distanzieren): Mit „die Rattenfängerin“ ist Le Pen gemeint, das ist, denke ich, unstrittig. Nun kann man ja das Wort „Rattenfängerin“ zerlegen in „Ratte(n)“ und „Fänger(in)“. Rein auf den Wortbestandteilen basierend wäre das also jemand, der Ratten fängt. Damit muss Gabriel ja zwingend die Wähler von Le Pen gemeint haben. Wenn nicht sogar die komplette französische Bevölkerung. Und überhaupt… jemand, der sich einer solchen Terminologie bedient, ist ja untragbar. Eine Schande, dieses Sprachniveau. Was sind das für Menschen, die sich solcher Polemik bedienen? Nun, Menschen wie Michael offenbar, bedient er sich doch noch im selben Kommentar (sogar mit Ankündigung) desselben „Niveaus“. Sauber, Michael. Das mit dem Distanzieren von, der eigenen Meinung nach, niveaulosem Jargon üben wir aber nochmal, nicht wahr?

Gefallen hat mir auch die Variante von Peter Heinz. Hat mich ein wenig an die Grundschule erinnert. Ihr wisst schon: Zwei Kinder, die sich streiten, eines davon haut eine derbe Beleidigung, etwa „du blöder Butzemann“, raus und zertrümmert damit die argumentative Grundlage seines Gegenübers. In Ermangelung eines schlagfertigen Konters entscheidet dieses sich dann für „selber!“. Da machst du nix mehr, da hast du dann halt verloren. Sieht Peter auch so (Anm.: Sven Reuter hatte Gabriel in einem vorherigen Kommentar inhaltlich zugestimmt).

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Gabriel „beleidigt“ andere, weil er sie für rassistisch hält? So, dann nennt der Peter ihn jetzt halt seinerseits einen Rassisten. Und alle, die ihm zustimmen gleich mit. So! Haben sie nun davon. Kommt schon, gebt Peter sein Schäufelchen wieder, sonst werden wir hier nie fertig…

Le Pens Anhänger müssen also die gefangenen Ratten sein. Wie sollte es auch sonst gemeint sein? Es kann nur diese eine Deutung geben. Das sehen auch viele weitere Kommentatoren so. Unter anderem die Doris.

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Wie sonst? Hm, ja, lass mich kurz überlegen. Gab es da nicht mal diese alte Sage um einen Schädlingsbekämpfer mit einer Flöte, der sich nach getaner Arbeit zahlungsunwilliger Kundschaft gegenüber sah und sich in Ermangelung eines Inkasso-Unternehmens für 130-fache Kindesentführung entschied? Genau, der Rattenfänger von Hameln. Nunja, die Sage spielt Anfang des 19. Jahrhunderts. Den Blick auf Vergangenes vermeiden Rechtspopulisten ja beinahe reflexartig, da kommt immer so viel Unangenehmes zutage. Da muss man ja auch Verständnis für haben.

Blöd nur, wenn dann jemand anders daherkommt und einen kurzerhand aufklärt. Diese mühselige Aufgabe hat Christian übernommen.

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Wie im Bild rechts zu sehen ist, finden mindestens sechs Leute es sogar regelrecht gemein, so etwas überhaupt zur Diskussion zu stellen. Hat Gabriel die Franzosen etwa gar nicht beleidigt? Die Verfechter der Ehre von Le Pens Wählern gehen mit dieser ungefragt in den Raum geworfenen Information sehr unterschiedlich um. Viele bleiben bei der alten Argumentation und ignorieren Christians Einwurf einfach (Dazu zählt übrigens auch die oben zitierte Doris. Ihr Kommentar kam erst etwa eine halbe Stunde nach Christians Erläuterung). Betrachten möchte ich aber lieber diejenigen, die versuchen, mit der ungefragt geschlossenen Bildungslücke umzugehen.

Womit wir wieder bei Peter Heinz wären. Peter antwortet im Folgenden direkt auf Doris‘ Kommentar von weiter oben.

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Da Peter ein sehr empathischer Mensch ist, hat er seine Argumente für die zu belehrenden naivdummen Linken praktischerweise inhaltlich nummeriert. Punkt 1: Von Hameln ist überhaupt nicht die Rede. Richtig, Peter, das hätte der Sigmar aber auch wirklich mal klarstellen können. Kann ja nun sonstwas bedeuten. Hätte er wirklich die Sage im Sinn gehabt, hätte er ja auch etwas sagen können wie „Man mag sich gar nicht vorstellen, was passiert, wenn die Rattenfängerin von Hameln… also nicht von Hameln sondern von Frankreich… aber doch irgendwie auch von Hameln… wie in Hameln… genau… IN Frankreich WIE IN Hameln… also wenn die die nächste französische Präsidentin wird.“ Damit wäre doch alles klar gewesen, nicht wahr, Peter? Also ich weiß ja nicht. Schmissig klingt das nicht.

Punkt 2: Gabriel WOLLTE ja genau die Wähler von Le Pen als Ratten bezeichnen. Richtig, das MUSS so sein. Peter liest nämlich heimlich Sigmars Tagebuch und das Teil ist ein regelrechter Katalog von Nagetieranalogien für andere Europäer. Oh, Moment, da kommt ja noch ne andere Begründung: „sonst macht seine Aussage ja gar keinen Sinn“. Stimmt, Peter. Also… außer natürlich, Christian hat mit seiner Deutung Recht. Aber das wäre ja irgendwie naivdumm und links, ne?

Na gut, vielleicht reicht Christians Erklärung für Peter nicht ganz aus. Ergibt ja auch keinen Sinn. Warum soll eine französische Politikerin sich denn mit Schädlingsbekämpfung auseinandersetzen? Oder ist das vielleicht gar nicht wörtlich gemeint? Kann das kurz jemand für Peter erklären?

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Danke, Marco. Ein Verführer also. Ja, ergibt schon mehr Sinn. Le Pen hat ja schon einiges versprochen. Kommt auf die rechte Seite der Macht, wir haben… Wohlstand und so Zeugs. Jetzt alles klar, Peter?

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Da haben wir es wieder. Der Bezug fehlt. Ein Rattenfänger ist ein Mensch, der Ratten fängt. Ein Schornsteinfeger ist ein Mensch, der Schornsteine fegt. Ein Taschenmesser ist ein Mensch, der Taschen ausmisst. Ein Sternekoch ist ein Mensch, der Sterne kocht. Ein… ist ja gut, ich höre ja schon auf.

Warum Gabriel ausgerechnet dieses Beispiel gewählt hat, will Peter wissen. Er hätte doch auch einfach ein anderes… äh… Synonym (Du benutzt dieses Wort nicht richtig, Peter. Lass es dir mal in Ruhe erklären. Aber es gibt gerade Wichtigeres) wählen können. Eines, das Peter versteht. Wie sähe das dann aus? „Man mag sich gar nicht vorstellen, was passiert, wenn diese Brigitte Bardot die nächste französische Präsidentin wird.“ Naja, ich weiß ja nicht. Irgendwie geht da aus meiner Sicht die Aussage ein wenig verloren.

Ein Rattenfänger ist und bleibt nun einmal ein Rattenfänger. Der Marco redet Unsinn. Wer würde denn bitte „Rattenfänger“ als „Verführer“ deuten? Wo hat Marco sowas überhaupt her?

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Quelle: Duden.de

Ups… Das ist jetzt etwas peinlich, nicht wahr, Peter? Nein, natürlich nicht. Deine Kernaussage bleibt über all deine Kommentare gleich. Du magst den Sigmar nicht und deswegen muss der die Franzosen beleidigt haben. Fertig aus.

Achja, was ist denn mit der AfD? Immer, wenn ein Politiker etwas Diskussionswürdiges sagt, kommt doch sonst immer sofort jemand und behauptet, dass die arme, gebeutelte AfD sich sowas ja nicht erlauben könnte. Hier etwa nicht?

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Da ist es ja. Von Peter. Natürlich. Auf den ist eben Verlass.

Fazit: Peter, Doris und ihre Freunde sind nur Beispiele für ein größeres Problem. Gabriels Aussage kann freilich Basis für eine vielseitige Diskussion über Le Pen als eventuelle Präsidentin sein oder auch darüber, ob ein Außenminister sich überhaupt derart klar gegen eine Politikerin stellen sollte, mit der er unter Umständen bald diplomatische Beziehungen wird unterhalten müssen. Stattdessen wird oftmals völlig an den eigentlichen Inhalten vorbeidiskutiert. Und was noch viel schlimmer ist: Viele beharren ums Verrecken auf ihren Ansichten. Wo ist verdammt nochmal das Problem dabei, die eigene Sichtweise auch nach dem ersten Losplärren nochmal zu überdenken? Niemand verlangt von Peter, Sigmar Gabriel als Person zu mögen, die Art, wie er sein Amt ausübt, gut zu finden oder ihm auch nur in dieser Aussage zuzustimmen. Aber gegen alle Argumente zu verteidigen, dass Gabriel nur genau das gemeint haben kann, was Peter daraus liest, ist an Engstirnigkeit kaum zu übertreffen. Ich bin ja auch der Meinung, dass man die Rechtspopulisten nicht grundsätzlich aus dem politischen Diskurs ausschließen darf. Aber wenn man sich dann doch mal auf eine Diskussion mit einem von ihnen einlässt und sich dann „Argumenten“ wie denen von Peter gegenübersieht, habe ich absolutes Verständnis dafür, wenn man die Diskussion abbricht. Schade eigentlich.

So, damit hätten wir es dann für heute. Ich möchte an dieser Stelle allerdings noch kurz etwas anmerken. Ich betrachte in meinen Texten überwiegend die politische Rechte kritisch. Das liegt hauptsächlich daran, dass ihre Vertreter mir viel, VIEL mehr geeignetes Material liefern. Ein weiterer Grund ist aber auch, dass ich Rechtspopulismus, Nationalismus & Co. meinerseits komplett ablehne. Der Fairness halber sei hier dennoch, auch im Hinblick auf künftige Einträge, einmal gesagt: Auch aus der linken Ecke kommen manchmal unqualifizierte, inhaltslose oder gar beleidigende Beiträge. Und auch aus der rechten Ecke wurden schon auf sachliche Art Sichtweisen präsentiert (die ich dann allerdings in der Regel nicht teilte). Allerdings waren diese Fälle eben jeweils nicht die Regel.

Wenn ihr es bis hierhin geschafft habt, danke ich fürs Lesen. Wenn es euch gefallen hat, könnt ihr den Blog gerne weiterempfehlen und zum nächsten Eintrag wieder reinschauen. Auf bald.

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2 Gedanken zu “02 – Von Ratten und Menschen

  1. Wo ist eigentlich der Like-Button wenn man ihn mal braucht? An allen unnützen Ecken findet man das Ding und wenn mans mal braucht ist es weg. *Daumen hoch*

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